Heute direkt aus Wien kommend spazier ich mit der Schuhschachtel durch den Christkindlmarkt im Volksgarten und kaufe beim tibetanischen Stand noch einen authentischen Chai. Natascha hatte sich am Vortag schon auf den Blogpost von letzter Woche rückgemeldet und befürchtet, dass noch einige Daumenkinos auf sich warten lassen werden. Einige wollten zu Hause noch weiterarbeiten. Wir haben ein Auge zugedrückt und es löst sich sonderbar auf: denn wir haben am Ende zu viele Daumenkinos. Irgendwo in der Liste muss ein Fehler gewesen sein. Alles gut!
Die 1b ist auf 200% Aktivität, als ich die Klasse betrete. Sie begutäugen mich skeptisch. Die Lehrerin mahnt und verweist zwei Schüler vor die Klasse. Der Krawall hat Überhand genommen, sie reden am Gang unter sechs Augen. Ich solle die Klasse alleine begrüßen. Wir starten wie gewohnt und erfragen die Kenntnisse der Generation über Film und Animation. Die Filmrolle geht durch und es wird teilweise heftig an ihr gezogen. Die Kids sind neugierig und finden anfangs keine Verbindung zum digitalen Projektor an der Decke. Und ich rudere ein wenig, denn die Mischung dieser Klasse hat einige Charaktere an Bord, die sich nicht einbremsen lassen.
Ich erfrage den Namen des lautesten in der ersten Reihe links. Um ihn verbal greifen zu können, sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auffangen und gegebenenfalls lenken zu können. Und er darf ausreden, erklärt seine Idee über die Zukunft. Nämlich, dass er die Schule sprengen möchte. Mit einer „Nuke“ von einem Flugzeug aus. Er lacht schelmisch. Aufbauend auf meiner Demonstration des Daumenkinos mit einem Flugzeug ist er schnell in seinem Element und vergnügt sich mit der Idee auf dem Papier. Für mich auch ein Ausdruck seiner Wirklichkeit. Auch legitim und bemerkenswert, wenn auch radikal und gewaltvoll. Wird werden im Einzelgespräch Zeit haben darauf einzugehen.
Nach dem abgekürzten Brainstorming ist die Menge schnell konzentrierter am Arbeiten, als anfänglich angenommen. Ein Junge in der vorletzten Reihe zieht ein langes Gesicht. Ich frage nach seiner Idee und seinem Fortschritt. Er bleibt einsilbig und blättert hin und her. Die Figur läuft nicht richtig. Es sei zu schwierig. Meine Erklärung soll ihn ermuntern und den Perfektionsgrad entschärfen, den er augenscheinlich anstrebt. Und auch Natascha erklärt mir, dass er hohe Ambitionen hat und oft daran nagt, wenn ihm etwas nicht gleich gelingt. Ein paar Minuten später scheint er wieder heiter am Zeichnen.


Da es die Parallelklasse von voriger Woche ist, sind Natascha und ich schon eingespielt. Sie kennt meinen Ablauf und erinnert mich an die Audioaufnahmen. Die letzte halbe Stunden bricht bald an. Einige sind schon am Fertigwerden. Am Gang würde es heute gut passen. Ich hole mir das erste Paar nach draußen und wir gehen in die Einzelgespräche. Manchmal sind die Ideen etwas dünn, oft steht Sport im Vordergrund. Mir fehlt der konkrete Gedanke an die Zukunft oder eine Vision. Ein Schüler illustriert ein Basketballspiel, das nach einem ersten Korb in eine Zerstückelung einer zweiten Figur mündet. Es wird mit dem zuerst verprügelten Körper und dann mit dem abgetrennten Kopf weiter gespielt. Ich frage nach dem Ursprung seiner Idee, ob er schonmal so etwas gesehen hätte. Er bemerkt recht. ruhig, dass er selber schonmal geschlagen wurde. Und ab hier bekomme ich Gänsehaut. Beobachte seine Augen und Mimik ganz aufmerksam. Will vermeiden, dass ich eine heikle Tür öffne. Aber er bleib ruhig und fängt sogleich wieder zu scherzen an. Ich frage ihn nach seiner Definition von Glück und eine mögliche Zukunft. Und es poppen gleich zwei weitere Themen auf. Geld und CO2.
Wir haben heute aber auch wieder sehr originelle und heitere Ideen im Pool. Eine Schülerin zeichnet einen Basar, wo man sich eine Kiste kaufen kann. In dieser Kiste ist die Zukunft und man kann sogar hineinspringen. Oder ein Flugzeug lässt ein riesiges Paket auf ein Haus fallen, dass bei der Landung in viele kleine Geschenke zerfällt. Man solle den Leuten in ärmeren Ländern helfen und auch den Obdachlosen. Denn Geld ist wichtig im Leben. Genauso wie Fußball und Familie.

Und der Workshop vergeht wie im Flug. Einige Schüler wurden schon in die Mittagspause entlassen, als ich von den letzten Aufnahmen zurück kommen. Sogar die Stühle stehen schon alle auf den Tischen. Und da werde ich etwas wehmütig. Denn die Verabschiedung ist mir dadurch nicht mehr gelungen und es war heute tatsächlich mein letzter Termin für die Reihe. Ich fotografiere unbeholfen den leeren Klassenraum, die Schachtel vor der Handyausgabe und die Aufschrift auf der Tafel: „Merry Christmas“. -> Ciao … Hohoho!
Europaschule Linz / Praxisschule PH OÖ - https://europaschule-linz.at/
